Es gibt dieses eine, sehr nostalgische Video einer Spielzusammenfassung zwischen dem SV Meppen und dem VfB Oldenburg von 1985. Kurz vor Weihnachten, moosbewachsener und tiefer Boden im Emslandstadion. Meppen gewinnt, weil Martin van der Pütten dreimal trifft. Dreimal. Im Derby. Vor vollem Haus. Geile Sache! Und weil Martin van der Pütten nicht nur ein großartiger Stürmer und Mann des Tages, sondern vor allem ein Mann des Volkes ist, stellte er sich nach Abpfiff mit kaltem Bier vor die Kamera und beantwortete Fragen.
Da freu‘ ich mich jetzt schon drauf
Erkenntnis des Journalisten: „Das gibt ja heute eine herrliche Weihnachtsfeier beim SV Meppen.“ Gelassene Antwort von van der Pütten: „Joa, das machst man sagen. Hundertprozentig. Da freu’ ich mich jetzt schon drauf.“
Leider teilte gestern niemand Bier aus. Zumindest nicht auf dem Platz. Was schade ist, denn wir sind uns sicher: Benjamin Girth trinkt gerne Bier. Denn Benjamin Girth ist ein guter Mann. Und ein großartiger Fußballer. Hundertprozentig.
Wie sehr kann ein einzelner Spieler seiner Mannschaft fehlen? Genau diese Frage galt es vor einem halben Jahr zu beantworten. Da kam Benjamin Girth im Training falsch auf, ein Loch an der Stelle, auf die er aufkam nach einem Kopfball. Diagnose: Mittelfußbruch. Meppen im Schockzustand. War jetzt, wenige Wochen vor der sicheren Relegation, schon alles beendet?
Gipsfuß und Krücken
Es kam alles anders. Aber trotzdem: in beiden Spielen war der Mannschaft anzumerken, dass da etwas fehlt. Das Ziel. Denn eine ganze Saison hatte sich darauf ausgerichtet, diese Wucht im Strafraum zu bedienen. Ihn irgendwie in die Position zu bringen, dass Girth treffen musste. Und falls das mal nicht klappte, dann eröffneten sich eben Räume für die Teamkollegen. Das ist bis heute so.
Wie also kann sich ein verletzter Spieler in die Herzen der Fans spielen? Nun, vielleicht genügen die 20 Tore als Kredit. Als Aufstiegsheld würde Benni Girth ja sowieso gelten. Da sind sie im Emsland nicht nachtragend. Oder aber, wenn der entscheidende Elfmeter zentimeterknapp an den Pfosten prallt, dann läuft der Verletzte los. Mit Gipsfuß und auf Krücken. Und das in Rekordgeschwindigkeit. Der schönste Jubel, den Meppen je gesehen hat.
Klar, auf Girth müsse der SV Meppen auch zu Saisonbeginn der 3. Liga verzichten. Dachten alle. Und dann stand der Husar am ersten Spieltag an der Seitenlinie. Bereit zur Einwechslung beim Stand von 1:2. Noch 15 Minuten Zeit. Eine Ewigkeit. Flanke Vrzogic – Kopfball Vidovic – und dann kommt Girth. Halb im Fallen, beim Versuch die letzten Zentimeter zwischen ihm und dem Ball durch einen Hechtsprung vergessen zu lassen, mit der halben Fußspitze ans Leder kommend. Den entscheidenden Impuls mitgebend.
Traumtor des einfachen Mannes
Wie schön kann ein Tor sein, wenn es nicht durch ein an der Mittellinie startendes Dribbling eingeleitet wurde? Ohne Fallrückzieher? Ohne Hacke-Spitze-Eins-Zwei-Drei? Das hier war die Antwort.
Kraftvoll. All den Willen und Schmerz der letzten Monate hineinlegend. Irgendwie auch ästhetisch. Das Traumtor des einfachen Mannes.
Drei dieser Traumtore schoss Benjamin Girth am Samstag gegen Chemnitz. Klar, die Mannschaft hatte alles investiert, um dieses Spiel irgendwie zu drehen. Und es gab andere, die genauso entscheidenden Anteil an diesem Sieg haben. Weil Fußball in Meppen noch immer ein Mannschaftssport ist. Aber Fußball ohne Ziel ist erfolglos. Und Girth ist das Ziel. Waren es wirklich drei Tore? Oder nur Zwei? Oder ist diese Frage nicht Beweis genug, was für einen entscheidenden Anteil Girth an diesem einen Tor hatte. Er, der die Leistung seiner Teamkollegen in Erfolg umwandelt.
Nach dem Tor, dem einen wunderschönen gegen Würzburg, ging ein kurzes Raunen durch Meppen. Girth hatte in einem Interview gesagt: »Wenn Bayern anfragt, würde ich nicht Nein sagen«.
Eine Statue auf dem Vorplatz
Vielleicht wurden danach in der Kabine häufiger die Toten Hosen gespielt. Mit der Warnung, nie zum FC Bayern zu gehen. Und, sollte Uli Hoeneß auf der Matte stehen, nicht einmal die Tür zu öffnen. Jedenfalls bekräftige Meppens Stürmer in dieser Woche, und das trotz all der Verletzungsprobleme in München, dass er vorhabe auch noch in einem Jahr in Meppen zu spielen.
Das trifft sich gut, denn die Erfolgsgeschichte des SVM ist noch lange nicht beendet. Und außerdem sollte Girth doch immer noch Tore in Meppen schießen, wenn seine Statue auf dem Stadionvorplatz enthüllt wird. Jubelnd. Mit Gipsfuß und Krücken in der Hand. Nie hat Meppen einen schöneren Jubel gesehen.
T.A.
Foto: Lars Schröer – Studio 205
Danke für diesen geilen Text. Gruss Papa von Benny
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